Bernd Burkhardt

Und plötzlich
wurde alles hell

Patientengeschichten

Augenmediziner setzen Patienten erstmals Netzhautprothese ein

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Zum ersten Mal nach 15 Jahren völliger Blindheit konnte Bernd Burkhardt wieder Lichtflecke erkennen – und das an seinem 62. Geburtstag. Möglich wurde dies durch die Implantation einer Netzhautprothese, durchgeführt von den Augenmedizinern am Universitätsklinikum Leipzig. Der Eingriff war der erste dieser Art am UKL und auch im ostdeutschen Raum.

Bernd Burkhardt leidet an der erblichen Augenerkrankung Retinitis pigmentosa (RP). Seit seiner Jugend ist er stark sehgeschwächt, seit 15 Jahren völlig blind. Jetzt ist der Jenaer der erste Patient, dem an der Augenklinik am Universitätsklinikum Leipzig eine moderne computergestützte Seh-Prothese implantiert wurde.

„Und plötzlich wurde alles wieder hell“, beschreibt Bernd Burkhardt seine neue Wahrnehmung nach dem Anschalten des Implantats. “Seitdem sehe ich unstrukturierte Lichtflecke, die ich lernen muss zu interpretieren“. Die Retina-Prothese, eine sogenannte ARGUS II, wurde genau an seinem 62. Geburtstag aktiviert. „Das war natürlich ein ganz besonderes Geschenk“, freut sich Burkhardt. Prof. Peter Wiedemann, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde operierte vier Stunden, um ein hochempfindliches Elektrodennetzgitter im Auge zu platzieren und zu befestigen. „Dabei handelt es sich um eine anspruchsvolle Operation, da die kleinen Elektroden nur durch eine dünne Silikonschicht geschützt sind und wir nur einen Versuch haben, um diese richtig anzubringen“, beschreibt der Augenchirurg den Eingriff.

Die ARGUS II Retinaprothese besteht aus einem im Auge auf der erkrankten Netzhaut befestigten Implantat und einer Brille, die über eine Kamera und einen damit verbundenen Taschencomputer visuelle Informationen an das Elektrodennetz im Auge sendet. Dazu werden die Signale in Impulse umgewandelt, die ein an der Brille befindlicher Sender kabellos an das für den Träger nicht spürbare Implantat übermittelt. „Der Patient nimmt Lichtblitze wahr, die eine Unterscheidung von hell-dunkel und somit auch das Erkennen von Flächen und Bewegungen ermöglichen“, erklärt Prof. Wiedemann den Effekt des Gerätes.

Diese Wahrnehmungen zu interpretieren und daraus Informationen über die Umgebung zu gewinnen, muss allerdings über mehrere Monate intensiv geübt werden. Im Ergebnis können dann helle Gegenstände von dunklen unterschieden werden, Stufen und Türen werden erkannt ebenso wie beispielsweise eine laufende Person.

Voraussetzung ist eine funktionierende Signalübermittlung. Zwei Wochen nach der Operation wird dies erprobt, indem das Gerät angeschaltet und individuell angepasst wird. Im Falle des ersten Leipziger Patienten verlief das sehr gut: Schon am ersten Tag konnte er Linien erkennen. „Richtiges Sehen ist zwar etwas anderes, aber für die von degenerativen Netzhauterkrankungen betroffenen Patienten, für die dieses Gerät geeignet ist, stellt das eine ganz neue Qualität dar“, so Augenchirurg Wiedemann, der seit vielen Jahren die Entwicklungen auf diesem Gebiet begleitet.

ARGUS II ist seit wenigen Jahren verfügbar und wird nur an einigen bestimmten Kompetenzzentren in Deutschland eingesetzt. „Mit diesem System gibt es erstmals ein zugelassenes und außerhalb von experimentellen Studien verfügbares Gerät, mit dem wir unseren erblindeten Patienten tatsächlich helfen können“, so Wiedemann. Das betrifft derzeit Patienten mit erblicher Netzhautdegeneration, die zu völliger Erblindung führt, wie Retinitis pigmentosa. Davon betroffen sind ca. 30.000 Menschen in Deutschland, einer von 50.000 Menschen erkrankt oftmals schon in jungen Jahren an RP.

So auch Bernd Burkhardt. Trotz seiner Erkrankung ist der Thüringer, der auch im Blindenverband aktiv ist, voller Energie und Lebensmut. Der Ingenieur arbeitete bis zur Wende bei Carl Zeiss, unterstützt durch Kollegen. Dann schulte er um zum Physiotherapeuten. Seit einiger Zeit ist Burkhardt Rentner und kann sich intensiv mit seiner neuen Prothese beschäftigen. „Ich trage das Gerät jeden Tag, zuerst nur 30 Minuten, jetzt ein bis zwei Stunden“, so Burkhardt.

Bis zum Frühjahr 2016 machte Burkhardt eine Rehabilitation in zwei Phasen. In der ersten Phase wurde er ambulant an der Universitätsmedizin Leipzig betreut und lernte dort in 30 Stunden mit ARGUS II umzugehen. Anschließend folgte der Praxistest. Noch einmal 40 Stunden trainierte er mit dem Gerät und einer Mobilitätstrainerin unter Alltagsbedingungen in seiner gewohnten Umgebung. Ziel dabei war es, seine Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung zu erhöhen. Das klappt nach eigenen Worten immer besser. Generell nutzt Herr Burkhardt sobald er das Haus verlässt das Gerät immer in Kombination mit einem Blindenstock. „Die Nagelprobe für mich war dann, als meine Frau, die mich sonst immer begleitet, sich in unserer Wohnung verletzte. Ich musste alleine die Wohnung verlassen und zur Apotheke gehen, um ihr ein Medikament zu besorgen. Mit dem System und meinem Stock ist mir das sehr gut gelungen“, berichtet Burkhardt.

Prof. Peter Wiedemann ist begeistert von den Fortschritten seines Patienten. „Das ist wirklich ein sehr gutes Ergebnis“, so der Augenarzt. Für Bernd Burkhardt sei die Retinaprothese eine gute Alternative. „Das Gerät ist dennoch nicht für jeden geeignet“, dämpft Wiedemann zu große Erwartungen. „Die Entscheidung für oder gegen eine solche Operation muss sehr individuell getroffen und gut abgewogen werden.“